„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lukas 24:5)

Eine Zeitlang blieb das Grab versiegelt. Aber dann geriet der Stein ins Rollen. Aus der Öffnung der Kammer fiel blendendes Licht. Und dann die Frage, die eigentlich keine Frage, sondern ein Fanfarenstoß ist:

Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?

So können nur Engel fragen.

Eigentlich waren wir eingestellt auf das Ritual des Todes. Ein Toter sollte in seiner Grabkammer besucht, ein Leichnam gesalbt werden.

Und nun soviel Licht. Für alle unerwartet, wird offenbar, dass die Stätte des Todes ein Ort des Lebens geworden ist.

Leben aus dem Tode.

Unsere Begriffe von Leben und Tod sind zu eng, zu begrenzt, um zu verstehen, wie das zugeht. Wohl weil sie nur von einer Toten ersonnen wurden, der toten Vernunft. Aber unsere Toten sind nicht tot, sie leben et lux perpetua lucet eis. Das ewige Licht wird ihnen leuchten.

Im Lichte der Auferstehung wird nicht nur die Grabkammer Jesu erhellt und das Wesen des Todes ausgeleuchtet, sondern zugleich die Dunkelheit unseres Daseins aufgedeckt. Nicht erhellt unser Tageslicht die Dunkelheit des Grabes, sondern das aus der Grabkammer gleißende Licht erhellt unser Dasein.

Wenn soviel Licht bei den Toten ist, wieviel Dunkelheit ist dann bei den Lebenden? Wenn soviel Leben im Tode ist, wieviel Tod muss dann im Leben sein?

Vor dem Hintergrund und im Lichte der Auferstehung wird das Dasein der Lebenden in all  seiner Brüchigkeit und Hinfälligkeit, in seiner ganzen Todesverfallenheit vorgeführt. Und da mag manchem unsere schöne Erde eher wie die eigentliche große Grabkammer erscheinen.

Denn wieviel Tod ist im Alltag der Lebenden? In ihren Lügen und Kriegen, ihrer Rücksichtslosigkeit und Geldgier, aber auch in ihrem frommen Augenaufschlag, ihren erstarrten Gewohnheiten, in ihren genormten Lebensplänen, ihren gestanzten Weltanschauungen, ihren lemminghaften Moden, ihren parteipolitischen Scheuklappen und in ihrem moralischen Hochmut, ihrer überheblichen Besserwisserei, kurz, ihrer allumfassenden Ignoranz, das heißt ihrer Gottferne?

Im Osterlicht wird nicht nur das Leben der Toten, sondern auch der vielfache Tod der Lebenden offenbar. Derer, die ihre Auferstehung noch vor sich haben.

In einem alten christlichen Text lesen wir:

Die Lebenden werden sterben. In was für einer Illusion leben sie! Die Reichen sind arm geworden, und die Könige sind gestürzt. Alles verwandelt sich. Eine Illusion ist die Welt. Laß mich nun nicht noch mehr gegen die Dinge (der Welt) sagen! Aber mit der Auferstehung verhält es sich in keiner Weise so. Denn sie ist die Wahrheit.

Es ist das, was festen Bestand hat,
und das Offenbarwerden dessen, was ist.
Und es ist der Austausch für die Dinge
und eine Verwandlung in Neuheit.

Denn:

Die Unvergänglichkeit [fließt] herab auf die Vergänglichkeit,
und das Licht fließt herab auf die Finsternis,
wobei es sie verschlingt,
und die Fülle vollendet den Mangel.

Dies sind die Symbole und die Vergleiche für die Auferstehung. Das ist es, was das Gute hervorbringt. Folglich verstehe nicht mehr nur bruchstückhaft, lieber Rheginus, und wandle nicht mehr nach diesem Fleisch, um der Einheit willen! Sondern mach’ dich nur los von den Teilungen und den Fesseln, und schon besitzt du die Auferstehung! Wenn nämlich das, was sterblich ist, von sich selbst weiß, daß es sterben wird, und das eintritt – selbst wenn einer viele Jahre in diesem Leben zubringt – weswegen siehst du nicht, daß du selbst schon auferstanden bist, und das tritt ein?!

(Der Rheginusbrief / Die Abhandlung über die Auferstehung)

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