Die Lust der Welt und die Kunst der Entsagung

LdW Cover3Hermann Detering führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch die Welt der Entsagung und des Verzichts. Sein Blick geht zurück auf die Anfänge, beleuchtet die Ursprünge allen asketischen Lebens und seine modernen Tendenzen, zeigt frühe und moderne Aussteiger, christliche Askese und macht auch vor der Last mit der Lust und der Lust an der Entsagung nicht halt. All diejenigen, die sich noch nicht ganz im Dschungel unserer heutigen Überflussgesellschaft verloren haben, will der Autor neugierig machen auf Möglichkeiten des Verzichts. Denn wer offen bleibt für alternative Lebensentwürfe, für Selbstfindung durch Weltdistanzierung, für eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas anderem, kann auf diesem Weg das Wertvollste überhaupt finden: seine ganz persönliche Freiheit.

256 Seiten / gebunden mit
Schutzumschlag / 13,5 x 21,5 cm
€19,99 (D) / €20,60 (a) / CHF* 28,50
ISBN 978-3-579-06629-5
2013

Aus dem Inhalt:

… Aspekte der Entsagung Buddhismus – ein Partythema? Der Verzicht aufs Steak
Mit dem Arsch ins Gesicht – Verzicht als Happening – Diogenes und die Kyniker

Jesus, der Hund Der Entsagungskünstler als Sexualneurotiker? Marcion aus Sinope Der Verzicht geht in die Wüste Die Last mit dem Lustverzicht Intime Bekenntnisse eines Kirchenvaters – Augustin Ganz Auge – Gaffen – Augenlust Die Lust am Verzicht – Katharer, Simone Weil, Franziskus Dschihad – Weltverzicht im Islam Vom Weltverzicht zum Ichverzicht – Sufis und islamische Mystik Konsumverzicht – Schrumpftum statt Wachstum Herbert Marcuse und »Die Große Verweigerung« »Haben und Sein« – Erich Fromm »Du musst dein Leben ändern!« – Peter Sloterdijk Landlust – John Seymour Mensch Gottfried Lieber Störfaktor als Störfall – Cécile Lecomte, genannt »Eichhörnchen«   …

Reaktionen, Rezensionen, Interviews

 Interview in MDR Figaro, Sinn- und Glaubensfragen, 8. März 2014, 17.10 Uhr


Tinia Würfel im Interview mit Hermann Detering, 9. März 2014, 11.05 Uhr 


… Inhaltlich und sprachlich ist die Behandlung des schwierigen Themas sehr gelungen. Ohne die nötige Ernsthaftigkeit zu verlieren, formuliert Hermann Detering in teils bissigem Schreibstil seine Kritik an der Überflussgesellschaft…    (Sebastian Heuft – Borromäusverein)

….Prägnant und geschliffen formuliert, die geistreiche Sprache macht die Lektüre zu einem Vergnügen…   (Ulrike Müller-Hückstädt- Evangelisches Literaturportal e.V.)

Evangelische Zeitung, Ausgabe 9:  Fastenzeit – nicht nur für Asketen

Landeskirche Hannover, Verzicht – Ein Plädoyer für die Genügsamkeit

InKulturA-online

Interview mit VdK Zeitung März 2014 – 68. Jahrgang Nr. 3, Seite 9

Interview mit evangelisch.de: Die Devise sollte heißen: Verzicht sofort!

Leseprobe

Typen des Verzichts

Unsere Galerie der Entsagungskunst wird neun Ausstellungsräumen haben. Der erste steht unter der Überschrift „Der Verzicht wird entdeckt“ und ist den Anfängen gewidmet. „Ex oriente lux“ besagt: der Ursprung liegt im Osten, bei den indischen und buddhistischen Weisen. Wir besichtigen den philosophisch-religiösen Innenraum der frühen Entsagungskunst und werden ihrer Grundlagen ansichtig, Weltpessimismus und/oder Identitätsphilosophie, ein Muster, dem wir von nun an immer wieder begegnen. Der Blick des Verzichtenden ist auf befreiende Erlösung gerichtet: Erlösung von der Welt.
Raum zwei ist dem Thema Vegetarismus gewidmet. Fleischverzicht ist wieder aktuell. Die Ursprünge in Europa gehen bereits auf Orphik und Pythagoreer zurück. Hier haben wir Gelegenheit, mehr über die Hintergründe des frühen Vegetarismus zu erfahren und uns mit dessen modernen Tendenzen auseinanderzusetzen.
Vorsicht beim Betreten des dritten Ausstellungsraums! Diogenes von Sinope streckt uns sein Hinterteil entgegen. Mit ihm begegnen wir dem humanistischen, anti-zivilisatorischen „Mensch ist Mensch-“ und „Zurück zur Natur-“ Typ, der auch heute noch in der Form des „Aussteigers“ auftritt. Von den vorhergehenden Typen unterscheidet er sich in der Regel durch Desinteresse an Religion, Mystik und Metaphysik, auch in Sachen Philosophie ist er relativ leidenschaftslos. Wenn überhaupt, ist er Vertreter einer handfesten Lebensphilosophie, die ohne große Distinktionen auskommt. Abstrakte philosophische Diskussionen interessieren ihn nicht und bieten lediglich Anlass für sarkastische Bemerkungen.
Als Lebens- und Unterhaltungskünstler ist der humanistische Typ Fluxus-Künstler und tritt oft durch Happenings und zeichenhafte Handlungen in Erscheinung, mit denen er seine Umgebung vor den Kopf stößt. Ihn treibt die Einsicht, dass der Mensch unter dem Ballast von Luxus, Reichtum und weichen Betten seine Menschlichkeit verloren hat und daher dringend einer Rückbesinnung auf das wesentlich Menschliche bedarf. Dazu will er gern verhelfen. Seine Entsagung ist nicht als Rückzug aus der Welt, sondern als Rückzug aus der zivilisierten Welt zu verstehen. Auch ihm geht es um Freiheit, freilich im Sinne von Autarkie.
In Raum vier wird der Verzicht getauft. Das zeigt zweierlei: Die christliche Askese musste nicht erst neu erfunden werden, und die frühe Kirche war eine Kirche der Entsagung. Da zumal das Letztere inzwischen weithin in Vergessenheit geraten ist, sieht sich der Ausstellungsleiter an dieser Stelle zu näherer Erläuterung veranlasst. Dem liberalen Charakter der Führung entsprechend, wollen wir nicht über Sinn oder Unsinn moderner Erotikgottesdienste urteilen. Es soll nur der Hinweis gestattet sein, dass alle, die das Christentum auf historischen Instrumenten hören möchten, dort fehl am Platz sind.
In Raum 6 gibt es eine große Flügeltür. Die ist weit nach draußen geöffnet: Wir folgen dem Gang des Verzichts in die Wüste. Auf den Spuren der Wüstenväter und
Säulenheiligen machen wir uns unter anderem über den stimulierenden Effekt des Verzichts auf Imagination und Fantasie Gedanken. Zumal künstlerisch interessierte Besucher und Absolventen musischer Gymnasien sind eingeladen, hier ein wenig länger zu verweilen.

Armut ist geil.

Im nächsten Ausstellungsraum geht es verstärkt um Sex. Dieser Aspekt des  Themas, der schon in den vergangenen Kapiteln diffus herumwaberte, wird nun endgültig auf den Punkt gebracht. Am Beispiel des Kirchenvaters Augustin erhellt eindrucksvoll, dass die Entbehrung der Sexualität womöglich die schmerzlichste Seite des Verzichts darstellt. Notorische Voyeure erhalten Trost und Rat.
Dagegen steht in Raum 7 wieder der Verzicht auf Besitz und Nahrung im Vordergrund. Ein Zusammenhang mit Raum 6 ergibt sich nur insofern, als alle in diesem Raum vorgestellten Personen die Überzeugung teilen, dass Armut geil sein kann.
Nach dem Besuch von Raum 8 wissen wir, dass der Verzicht im Islam Dschihad heißt, ohne Nine-Eleven zu meinen.
Im letzten Ausstellungsraum stehen ein paar Vitrinen zum Thema: Schrumpftum statt Wachstum. Wir begegnen dem politischen Typus des Entsagungskünstlers. Mit dem von Diogenes repräsentierten humanistischen Typ verbindet ihn die Freude an spontanen Aktionen und Happenings, denn der politische Entsager ist wie der humanistische vorwiegend Aktions- und manchmal auch Unterhaltungskünstler. Außer einigen Vitrinen mit alten Schwarzweißfotos von „Gammlern“, „Hippies“ und anderen Aussteigern gibt es noch eine kleine Nische für den Menschen Gottfried und ein Klettergerüst, auf dem sich Cécile Lecomte, genannt „Eichhörnchen“, abseilen kann.
Der Autor bittet um Verständnis dafür, wenn die Entsagungskunst in seiner kleinen Galerie nur am Beispiel der profiliertesten Typen vorgeführt wird. Damit sich der Leser am Anblick dieser stolzen Bergmassive erbauen kann, wurde die Messlatte absichtlich sehr hoch gelegt. Von den hohen Gipfeln führt dann eine Reihe von Hängen, Triften und bunten Wiesen in die Niederungen und Täler. Gemeint sind die Bereiche, in denen die hohe Kunst der Entsagung in fließenden Übergängen zur Anleitung für ein fröhliches Gesellschaftsspiel verflacht …